Jakob Birken, 2011

 

Text zur Ausstellung "Car Culture" ZKM, Karlsruhe 2011 und LENTOS, Linz 2012

 

Das Cabriolet ist nicht nur ein Kraftfahrzeug; es ist auch der Versuch,

die Autofahrt als Erlebnis auf die Spitze zu treiben. Im Gegensatz zu

anderen Autos, aus denen heraus die Außenwelt nur als etwas erfahren

werden soll, ohne weiteren Kontakt durchquert wird, soll das Cabrio 

ein Teil der Welt sein: nicht nur durch das Gefühl des Fahrtwinds und

die ungehinderte Aussicht, sondern auch dadurch, dass es einen Blick

auf den Innenraum und vor allem auf die Passagiere freigibt.

Wer Cabrio fährt, sucht Unmittelbarkeit, aber vielleicht auch eine fahr-

bare Plattform zur Selbstdarstellung. Der Mercedes-Benz 280, den Axel 

Philipp mit Altöl angefüllt hat, ist in vielerlei Hinsicht eine Reflexion dieser

besonderen Form der Automobilkultur. Das Altöl mit seiner fossilen,

symbolischen Schwere macht das Auto unbenutzbar; in diesem Zu-

stand ist es weder als Fahrzeug noch als Bühne der Eitelkeiten zu ge-

brauchen. Wenn sich in seiner Oberfläche aber die Umgebung in einer

scheinbar bodenlosen Tiefe reflektiert, deutet sich hinter der

narzisstischen Selbstbespiegelung des Luxuswagens auch das

romantische Versprechen des Cabrios wieder an, in seinen Sitzen

der Welt nahezukommen.

 

Jakob Birken


 

Martin Heus, 2010

Text zur Ausstellung Come As You Are, Kunstraum Karlsruhe und Zeppelin Museum Friedrichshafen 2010

 

Ohne Titel und Scala Coop

 

Axel Philipps Schmirgelpapierzeichnungen erwecken den Anschein abstrakter, gegenstandsloser Bilder, die sich vor allem im Gestus des Farbauftrags unterscheiden, sich ansonsten aber jeglicher Abbildung einer äußeren Wirklichkeit verweigern. Man ertappt sich unwillkürlich dabei, sie als Zitate auf die Handschrift bestimmter Künstler oder Stilrichtungen zu deuten. Bei ihnen handelt es sich allerdings gerade Kompositionen im klassischen Sinne, sondern um Erinnerungsspuren, die der Künstler von Beutezügen aus seiner Umwelt mitgebracht hat. Darüber hinaus sind es Abbildungen von Philipps künstlerischer Arbeit im materiellsten Sinne: Beim Schleifen bleiben Teile des Werkstücks am Schleifpapier zurück. Abhängig vom Material, der Körnung des Papiers und dem ausgeübten Druck bilden sich Spuren der Farbe und sogar der Form des bearbeiteten Objekts auf dem Papier ab.

 

Im Gegensatz zu Max Ernst in seinen Frottagen, kommt Philipp in seinen Schmirgelbildern ohne ein zusätzliches Zeichenwerkzeug aus, da ja das beriebene Objekt selbst die Farbe liefert. Es sind also eigentlich gar keine Zeichnungen im klassischen Sinn und das Schmirgelpapier ist für Philipp auch nicht einfach eine unkonventionelle Leinwand. Vielmehr findet ein Austausch zwischen dem farbgebendem Objekt und dem Bildträger statt. Dabei werden, im Gegensatz zu herkömmlichen abbildenden Verfahren, beide in ihrer Substanz massiv verändert. Das Positiv - um einen Begriff aus der Fotografie – das sich auf dem Schmirgelpapier abbildet, und als indexikalische Spur auf sein Urbild verweist, hinterlässt seinerseits eine Negativspur auf dem beriebenen Objekt. Das Abbild hat also an der Materie seines Urbildes teil und verursacht und bezeugt dabei dessen materiellen Verfall. Gleichzeitig jedoch erschließt es vollkommen neue Bildhaftigkeit, die sich in ihrem Sinnesreiz zu einer eigenständigen Größe manifestiert. Philipps Schmirgelpapierbilder sind damit mehr als Nachahmungen oder Abbildungen der von ihm bearbeiteten Dinge. Sie haben vielmehr Teil an ihnen, sind ihnen oberflächlich wesensgleich und werden so zu „Berührungsreliquien“ ihrer Farbgeber.

 

Martin Heus


 

Clemens Ottnad, 2010

Text zur Ausstellung Urbane Areale im Kunstverein Reutlingen, 2010

 

Gesehen und fotografiert von Axel Philipp in der französischen Provinz, zeigt sich Leerstand von Ladengeschäften kaschiert durch von innen weiß getünchte Schaufensterscheiben. Urbane Architektur wird somit entfunktionalisiert, ebenso konsumorientierte Zurschaustellung von Ware. Anonymen Malgesten gleich sind dabei unbeabsichtigt entstandene informelle Bildkompositionen in den Fokus gerückt, abhängig von Technik, Temperament und Geschicklichkeit unbekannter Nichtkünstler-Maler. Mal sind es schlierig durchscheinende Farbbahnen, mal serielle Kreisformen. Reste von Schriftzügen, Schildern ordnen sich darin unter. Je nach Farbdichte und Lichteinfall bilden die - zum Innenraum hin blickversperrenden – Glasfronten Reflexionsflächen, in denen sich das urbane Umfeld mit seinem Inventar widerspiegelt.

 

Ein Bild im Bild im Bild entsteht, in dem der Betrachter zunächst mit dem Ausdrucksmedium Fotografie konfrontiert ist. In der panoramischen Darstellung selbst ist er jedoch gleichzeitig vor der semitransparanten Farbflächenmembran der Glasfassade, befasst sich mit Mutmaßungen zum temporär unsichtbaren Innenraum (des Ladeninneren nämlich) und sieht zudem das hinter seinen Augen liegende sich spiegelnde Umfeld (von Straße und gegenüberliegender Straßenseite)- in der Tat vielschichtige Areale!

 

Clemens Ottnad


 

Martin Heus, 2008

Surspace (Martin Heus, 2008)

zur Ausstellung im Kunstverein Bretten

 

Wir befinden uns hier in einem Kunstverein, was zur Folge, dass alles, was an der Wand hängt oder auf einem Sockel steht und generell alles, was wir nicht auf den ersten Blick als Mobiliar des Ausstellungsraums identifizieren können, dem Generalverdacht ausgesetzt ist, Kunst zu sein. Die Arbeiten von Axel Philipp, machen da keine Ausnahme:

 

Sie erwecken den Anschein abstrakter, gegenstandsloser Bilder die sich vor allem im Gestus des Farbauftrags unterscheiden, sich ansonsten aber jeglicher Abbildung einer äußeren Wirklichkeit verweigern. Man ertappt sich unwillkürlich dabei, sie als Zitate auf die Handschrift bestimmter Künstler oder Stilrichtungen zu deuten. So begegnen uns z.B. Jackson Pollock, Wassily Kandinsky, Arnulf Rainer, Barnett Newman, Mark Rothko, Jean Dubuffet und natürlich Andre Massons Sandbilder und Joan Miros Malereien auf Schmirgelpapier.

 

 

 

Alles scheint klar und die Welt in Ordnung, bewegen wir uns doch auf dem sicheren Boden abstrakter Malerei und glauben uns mit ihren Problemstellungen und Bildfindungen bestens vertraut. Aber genau hier tappen wir das erste Mal in eine Falle. Eine Falle, die Axel Philipp für uns aufgestellt hat und der Boden bekommt erste Risse, handelt es sich doch gar nicht um Kompositionen im klassischen Sinn und auch die vermeintlichen Kunstgeschichtsbezüge sind so von ihm nicht intendiert.

 

Vielmehr handelt es sich bei den Arbeiten um Fundstücke aus der Welt des Alltäglichen, des Zufälligen und Abfälligen, die erst durch Philipps Auswahl in den Kunstkontext überführt werden. Tatsächlich sind es Abfälle, Abfälle handwerklicher Tätigkeiten und im besten Fall Erinnerungsspuren, die der Künstler als Sammler von Beutezügen aus seiner Umwelt mitgebracht hat.

 

Halb so schlimm werden sie sagen: Objet Trouvès also, Trashkunst!

 

Sicherer Boden!

 

Aber irgendwie wird man das Gefühl nicht los, dass die kleinen Risse, die sich bereits abzeichnen größer werden und das sich Abgründe darunter verbergen könnten.

 

 

 

Sicherer Boden:

 

Der ein oder andere unter ihnen wird sich sicher gefragt haben, was es mit dem Titel der Ausstellung auf sich hat. Vielleicht haben sie sogar nachgeschlagen und haben das Wort SURSPACE nicht gefunden. Ich kann sie beruhigen, es ist ein Kunstwort und findet sich in keinem Wörterbuch.

 

SURSPACE – wir wollen uns dem Wort auf Französisch nähern (obwohl es auch im Englischen funktionieren würde) – ist ein Konglomerat aus drei Begriffen:

 

Espace: der Raum

 

Surface : die Oberfläche

 

und

 

Sûr : sicher im Sinne von geheuer.

 

Sur-face wäre dann also das sichere Angesicht einer Sache – der sichere Boden seiner Oberfläche.

 

 

 

Lassen wir das vorerst so stehen – quasi als Gliederung und Referenzpunkt meiner weiteren Ausführungen. Wie verhält es sich nun mit den formalen Aspekten von Philipps Arbeiten und was hat man sich unter Zeichnungen mit Schmirgelpapier eigentlich vorzustellen?

 

Jeder, der schon einmal mit Schmirgelpapier gearbeitet hat, kennt das Phänomen: Beim Schleifen bleiben Teile des Werkstücks am Schleifpapier zurück. Abhängig vom Material, der Körnung des Papiers und dem ausgeübten Druck bilden sich Spuren der Farbe oder sogar der Form des bearbeiteten Objekts auf dem Papier ab. Dieses wird dadurch zunehmend unbrauchbarer. Die „Ergebnisse“ reichen von duftigen, an Kreidezeichnungen erinnernden Blättern, bis zu pastosen Strukturen. Darüber hinaus bilden sich auch eventuelle Faltungen, wie sie beim Schmirgeln ohne Schleifklotz auftreten auf der Oberfläche des Papiers ab. So entstehen, an konstruktivistische Bildfindungen erinnernde Abriebe.

 

SURFACE

 

Diese zweidimensionalen Spuren dreidimensionaler Objekte – theoretisch ganzer Räume – montiert Philipp schließlich auf Holzblöcke und überführt die von ihm ausgewählten Papiere somit wieder in dreidimensionale Objekte, die dann in den Ausstellungsraum hineinragen.

 

ESPACE

 

Im Gegensatz zu Max Ernst in seinen Frottagen, kommt Philipp in seinen Schmirgelbildern ohne ein zusätzliches Zeichenwerkzeug aus, da ja das beriebene Objekt selbst die Farbe liefert. Es sind also eigentlich gar keine Zeichnungen im klassischen Sinn und das Schmirgelpapier ist für Philipp auch nicht einfach eine unkonventionelle Leinwand. Vielmehr findet ein Austausch zwischen dem farbgebenden Objekt und dem Bildträger statt. Dabei werden, im Gegensatz zu herkömmlichen abbildenden Verfahren, beide in ihrer Substanz verändert. Das Positiv – um einen Begriff aus der Fotografie zu bemühen – das sich auf dem Schmirgelpapier abbildet, und als indexikalische Spur auf sein Urbild verweist, hinterlässt seinerseits eine Negativspur auf dem beriebenen Objekt. Das Abbild hat also an der Materie seines Urbildes teil und verursacht und bezeugt dabei dessen materiellen Verfall. Gleichzeitig jedoch erschließt es eine vollkommen neue Bildhaftigkeit, die sich in ihrem Sinnesreiz zu einer eigenständigen Größe manifestiert.

 

 

 

Einmal angenommen, Philipp würde eine Pfeife abschmirgeln, würde Rene Magritte auch einem solchen Bild ohne weiteres attestieren können, keine Pfeife zu sein? Er würde zumindest ins Grübeln kommen und sich wahrscheinlich von Philipps Schmirgelpapierbildern verraten fühlen – La trahision des images.

 

Da sind sie wieder die Risse! Und mittlerweile scheinen die Abgründe ganz deutlich hervor!

 

SÛR? - FACE

 

 

 

Die eben aufgeworfene Frage nach der Beziehung zwischen Urbild und Abbild in Philipps Bildern berührt ein zentrales Paradigma von bildender Kunst und Ästhetik: Die Mimesis.

 

Die Frage, inwieweit künstlerische Nachahmung und Repräsentation der Wirklichkeit möglich oder notwendig ist, zieht sich implizit seit den Höhlenbildern von Lascaux und explizit seit Platon als roter Faden durch das Labyrinth der Kunsttheorie und ein Ende ist nicht abzusehen.

 

Philipps „Lösung“ möchte ich als hypermimetisch bezeichnen: Seine Schmirgelpapierbilder sind mehr als Nachahmung der bearbeiteten Dinge, sie haben vielmehr Teil an ihnen, sind oberflächlich wesensgleich. Es sind Erinnerungen an etwas, dass nicht mehr existiert – nicht mehr so existiert, es sind Erinnerungsbilder, Reliquien ihrer Farbgeber. Außerdem sind es Werk-Zeugen, einer vergangenen Handlung, die sie in ihrer Zufälligkeit dokumentieren. Darüber hinaus und das ist das eigentlich abgründige an ihnen, sind sie Bilder eigener Wirklichkeit, die als solche geliebt sein wollen und als etwas Wahres anerkannt werden wollen. Ihr Da-Sein und ihre Liebenswürdigkeit schöpfen sie gerade daraus, dass ihre lächelnde Oberfläche, das, was ich sehe oder weiß, nicht in der Materialität und Diskursivität aufgeht.

 

 

 

Wie bereits angemerkt, bewegt Philipp sich mit seinen Schmirgelpapierarbeiten in der Tradition der Ready Mades, oder besser Objets Trouvès – der eigentliche künstlerische Akt liegt in der Auswahl und Überführung der zum Wegwerfen bestimmten Schmirgelpapiere in den Kunstkontext – Marcel Duchamp lässt grüßen.

 

Aber auch die „ecriture automatique“, der Automatismus der Surrealisten drängt sich auf, ist doch das was wir an den ausgestellten Arbeiten für Malerei, für bewusst gestaltete Oberfläche – für Ausdruck von Künstlersubjektivität – halten, ein zufälliges Abfallprodukt handwerklichen Gestaltungswillens. Keine Kompositionen sondern Zufälle – schöne Zufälle allerdings, das muss man schon sagen!

 

Mit dem Zufall ist das aber so eine Sache: Es ist natürlich kein unbedingter Zufall, den Philipp heraufbeschwört, sondern eher ein kultivierter. Schließlich setzt er die Rahmenbedingungen, wählt das Objekt und hat eine gewisse Erwartungshaltung an das „Resultat“.

 

Sein Vorgehen ähnelt daher eher einem Experiment als einer Seance und wirft damit einen ironischen Blick auf den surrealistischen Automatismus und dessen Betonung des Unterbewussten – Philipp ist eben kein Tiefenpsychologe künstlerischer Form, der mit seinen Schmirgelpapierbildern eine Art Archetypenlehre avantgardistischer Bildfindungen aufstellen will. Ein Bruder im Geiste wäre daher weniger Andre Breton als vielmehr John Cage mit „4´33“ von 1952 – kultivierter Zufall par exellence.

 

Da Philipp seine „Zufallsexperimente“ seit Jahren immer wieder wiederholt wird der Zufall in seiner Arbeit ein Stückweit zur Routine, Muster schleifen sich ein - werden vorhersehbar. Das ist es auch, was uns in seinen Arbeiten begegnet, eingeschliffene Muster, Farben, die sich in das Schmirgelpapier eingeschliffen haben. Bilder, die uns mit unseren eigenen eingeschliffenen Rezeptionsmustern konfrontieren.

 

 

 

A propos John Cage und „4´33“: Viereinhalb Minuten lang ist der Zuhörer hier dem Rauschen und Murmeln der ihn umgebenden Realität ausgesetzt – verpackt in kultivierten Zufall. Etwas ähnliches passiert uns vor den Schmirgelpapierbildern von Axel Philipp:

 

Die Arbeiten zeigen auf ihrer Oberfläche nichts vom Künstler geplantes und dennoch nehmen wir sie als abstrakte Malerei wahr. So konfrontieren sie uns mit unseren eigenen Strategien im Umgang mit dem mehr oder weniger chaotischen Rauschen unserer Umwelt, dem Übermaß an Information, das ständig auf uns einströmt. Versuchen wir doch im Alltag – und noch viel mehr im Umgang mit Kunst – unablässig dem Wirrwarr der Erscheinungen Herr zu werden, indem wir Gesetzmäßigkeiten, Regeln und Mythologien suchen, die das Rauschen in eine melodische Partitur verwandeln. In unserem Fall soll das Zufällige in den Bildern durch den Mythos der abstrakten Kunst strukturiert und gebändigt werden – wir versuchen zu ordnen, Ähnlichkeiten zu finden und sind dankbar, wenn sich uns manchmal als rettender Ast ein Bildtitel anbietet, an dem wir uns entlanghangeln können. Das Ergebnis kann nur eine simulierte Realität sein, die immer Ausschnitt ist und zwangsläufig am Realen scheitern muss. Dieses Scheitern lacht uns in einer Art heiterem Ikonoklasmus aus Philipps Bildern entgegen.

 

Durch Philipps subtile Strategien, erahnen wir das Abgründige, das in den Bildern aufscheint, allerdings eher, als dass wir es begreifen, aber wir kommen nicht umhin, auch die eigene Umwelt – den so sicher geglaubten Boden der eigenen Denkmuster – anders zu betrachten und wenn wir ganz genau hinhören, vernehmen wir vielleicht sogar das leise Rauschen des Realen hinter der Oberfläche von Axel Philipps Bildern.


 

Margrit Brehm, 2007

Text zur Ausstellung „EN TRAVEAUX“, Retour de Paris #67 im Institut francais de Stuttgart, 2007

 

EN TRAVAUX

 

Der Titel passt perfekt zum Signal, das die weiß getünchten Schaufensterscheiben setzen, die Axel Philipp fotografiert hat: Hier wird gearbeitet. „EN TRAVAUX“ steht aber auch für den Prozess des Arbeitens selbst, für das Tun, das in den Hinterglasmalereien Spuren hinterlassen hat und – vielleicht nicht auf den ersten Blick erkennbar – für die visuelle und intellektuelle Arbeit, die Reflexion zu der die Abbilder der Realität im Kunstwerk anregen. So eindeutig es sich bei den Fotoarbeiten einerseits um Momentaufnahmen im klassischen Sinn (also weder um inszenierte noch digital manipulierte Fotografien) handelt, so vieldeutig sind sie andererseits lesbar. Realität und ihre Spiegelung, Kunst und Handwerk, Geschichte und Gegenwart vermischen sich und fordern den Betrachter heraus, seine Lesart zu finden.


Vor rund zehn Jahren hat der Künstler mit dem Projekt begonnen, hat die Faszination, die das Paradox der blickdichten Schaufensterscheiben, die in Malerei versunkene Realität, auf ihn ausübten, als Ausgangspunkt für eine persönliche Feldforschung genutzt. Gleichermaßen auf der Suche nach dem präzisen Bild und voll wachem Interesse an der Gestaltungskraft alltäglicher Phänomene, hat er festgestellt, dass die Scheibenmalerei nahezu ausschließlich in romanischen Ländern angewandt wird, dass sie sich in der französischen Provinz eher findet als in Paris, dass sich hinter der weißen Malschicht eher ein (schon lange) leer stehendes, denn ein im Umbau begriffenes Geschäft verbirgt. Jeder Fund erweiterte das Repertoire, jedes aufgenommene Foto machte deutlicher, dass das scheinbar so banale Motiv ungeahnte Perspektiven bereithielt.


Beginnen wir am Anfang: Die Aufgabe des Anstreichers ist es, den Innenraum optisch nach außen abzuschließen. Seine Malerei ist in diesem Sinne Funktion und keine Qualität an sich. Auf die Scheibe aufgebracht, um bald darauf wieder herunter gewaschen zu werden, stellt der Anstrich gar so etwas wie einen Freiraum dar, in dem keine professionellen Regeln gelten. Vielleicht gibt es gerade deshalb Unterschiede, einen souverän aufgetragenem Rhythmus hier, ein unkontrolliertes Zumalen der Fläche dort. An die Stelle standardisierter Ausführung treten individuelle Handschriften, gestische Spuren. In den Fotografien von Axel Philipp ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt und damit in den Kunstkontext überführt, weckt das Erscheinungsbild des Tüncheauftrags Assoziationen an grundlegende Fragestellungen der Malerei in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Informel, gestische Abstraktion und Tachismus, also Malerei als Ausdruck existentieller Befindlichkeit jenseits kompositorischer Prinzipien, kommt dem Betrachter ebenso in den Sinn wie Robert Rymans „weiße“ nicht relationale Bilder oder Gerhard Richters „Vermalungen“ als Suche nach dem Bild, das nichts darstellt, in dem auch die letzte Spur einer malerischen Intention getilgt ist. Malerei, die sich grundsätzlich dem Bild als Abbild der Realität verweigert. Betrachtet man die Fotografien von Axel Philipp im Hinblick auf diese Bildtradition, so sind es aber nicht nur die Parallelen, die man im gestischen Farbauftrag erkennen kann, die Aufmerksamkeit erregen, sondern noch virulenter wirkt die subtile Rückkehr der Wirklichkeit ins Bild.


Eine von hinten bemalte Schaufensterscheibe verhindert nicht nur den Blick nach innen, sondern bildet je nach Lichteinfall auch eine Reflektionsfläche für die Außenwelt. In ihr spiegelt sich die gegenüberliegende Straßenseite, der Alleebaum, die vorübereilende Passantin. Die Arbeit von Axel Philipp besteht in der Transformation des Gefundenen in ein intentionales Bild, eine Fotografie. Seine Einflussmöglichkeiten sind dabei beschränkt. Die Erscheinungsweise der örtlichen Gegebenheiten wie die Bemalung des Schaufensters, die dazugehörige Fassade, die Bebauung der gegenüberliegenden Seite, Verkehrszeichen, etc. kann er in seiner Arbeit nur durch die Wahl einer bestimmten Perspektive während der Aufnahme, bzw. durch die Entscheidung für einen konkreten Bildausschnitt beeinflussen. Eine spezifische Lichtsituation, der Moment, in dem gerade kein Auto vor dem Fenster geparkt ist, verlangen gezielte Planung und geduldiges Warten.


Axel Philipp hat eine sehr konkrete Vorstellung von dem Bild, das er machen will, sucht genau die Perspektive, den Moment, in dem keine der im Bild sich überlagernden Ebenen die Oberhand gewinnt. Die gefundene Malerei und die Spiegelungen der Realität werden in eine Balance gebracht, die umso faszinierender ist, als sie unsere Wahrnehmungsgewohnheiten irritiert. Blicken wir als Passanten auf eine Schaufensterscheibe, so fokussieren wir entweder die Malerei hinter dem Glas oder die Reflektionen auf dem Glas. Das Objektiv der Kamera dagegen richtet sich, einmal auf die richtige Brennweite eingestellt, genau auf das Glas, die transparente Grenze zwischen statischem Tünchebild und flüchtiger Widerspiegelung der Außenwelt und lässt beide Ebenen auf der Fläche der Fotos zusammen fallen. Was sie zeigen sind ungesehene Bilder der Realität, die ein Problem der Malerei thematisieren und – im anderen Medium – eine verblüffend neue Sichtweise eröffnen.

 

Margrit Brehm


 

Adolf H. Kerkhoff , 2003

Text zur Ausstellung Espace Liquide im Kunstverein Ettlingen Wilhelmshöhe, 2003

 

Anonyme Malerei oder die Schönheit des Zufalls

 

In Deutschland sind sie trotz dauerhafter Rezession selten geworden, und Axel Philipp musste beinahe Europaweit nach ihnen suchen. Aber "natürlich" hat wohl fast jeder von uns diese "künstlichen" Gebilde schon irgendwo gesehen, viele haben sie auch "wirklich" wahrgenommen, und doch werden sie hier erstmals in ihrem Selbst thematisiert: Schaufensterscheibenübertünchungen. Ein Ungetüm von Wort für eine scheinbar völlig nebensächliche Sache. Was jahrzehntelang besonders in der deutschen Befindlichkeitsfotografie von Chargesheimer über Fiebig bis hinzu Vogel einen bloß dekorativen Randplatz im sozialen Ensemble hatte, rückt Axel Philipp in den Mittelpunkt seines fotografischen Fokus: die ästhetische Relevanz einer von ihrem Auftrag her völlig unästhetischen Arbeit. Fasst man das Thema als Problem auf, so zeigt es zwei Seiten, eine malerische und eine fotografische - und die Lösungen des Axel Philipp.

 

Die Malerei, die in den Schaufensterübertünchungen im Sinne des Wortes zu Tage tritt, kann man als solche von Innen, von Außen, und - zusammen mit dem Sonnenlicht - "schräg" betrachten. Aber damit setzt auch schon der Zerfall ein: denn die Innenseite gehört dem Handwerk, die Außenseite der Kunst und die Schrägansicht der Kunstgeschichte. Im Innern - im Laden - sitzt für uns draußen vor der Tür das große, aber in Wirklichkeit unbedeutende Geheimnis: groß, weil man von Außen allenfalls erahnen kann, ob und was drinnen ist - und doch unbedeutend. Weil die Scheibenmalerei als Handwerk "nur" eine Funktion, allenfalls die Folge des Ruins, nicht aber sein Abbild ist, stört sie sich an dem was hinter ihr liegt und ist ˆ nicht. Ja was jenseits der Malerei und somit hinter der Scheibe steckt ist hoffentlich: wirklich "nichts", denn nur das geschäftliche und das geschäftige Nichts in ihrem Rücken, ja nur die Nichtigkeit ihrer selbst garantiert die dauerhafte Existenz der Scheibenmalerei.


Hier rühren wir an einen, wenn nicht an den wichtigsten Punkt dieser wahrhaft unmöglichen Kunst: die Lebenszeit dieser Malerei, die zumeist in einem krassen Gegensatz zu ihrer Lebendigkeit steht. Nicht ohne Grund habe ich von Beginn an den Begriff Schaufensterscheibenübertünchung gebraucht: denn diese Malerei ist "nur" Kunst auf Zeit; sie soll ja nicht Blickfang sein, sondern Camouflage, die Tarnung einer Pleite bis zum Beginn eines neuen Geschäfts.


Die Wurzel des Ruins - das falsche Geschäft am verkehrten Ort - hockt als Geschäfts- und/oder Besitzername häufig noch an den Rändern der Scheiben und seine letzten verwelkten Blüten - verblasste und verwitterte Sonder- und Ausverkaufsangebote - kleben noch auf den Scheiben und warten, inzwischen ohne Hoffnung auf den Neubeginn. Denn dann wird die Farbe ja wieder abgekratzt, und allein deshalb muß sie auch - wässrige - Tünche sein. Und gerade dies scheint ja aus dem Strich des Tünchers zu sprechen: der Gleichmut der Verzweiflung, die Freiheiten der Langeweile und die Möglichkeiten der, ja die Hoffnung auf Veränderung.


Aber ich greife vor: denn noch wird gnadenlos über jeden Zettel auf und jeden Sprung in der Scheibe hinweggepinselt und -gestrichen, noch ist der Anstreicher, der erst noch zum Maler werden wird, nicht fertig. Noch ist er eben der "klassische" Handwerker im ebenso "klassischen" Dreiklang: Arbeit - Pause - Feierabend. Und genauso sind diese "Bilder" entstanden, genauso erklären sie sich - und eben doch nicht ganz.


Es bleibt ein Rest, und in diesem Rest steckt die künstlerische Potenz der (jeweiligen) Arbeit als Werk der Kunst. Paradox: während für uns der Maler unbekannt bleibt, ist für ihn zwar seine Arbeit sichtbar, sein eigentliches Werk als solches jedoch (zunächst) unsichtbar. Denn indem er seine Arbeit erledigt, erschafft er nur den Model, quasi das Negativ dieses seines Werkes, das er erst nach der Vollendung sehen kann - und damit auch erst nach seinem Publikum. Wie bei der traditionellen Hinterglasmalerei gilt auch in der Schaufensterscheibenübertünchung: das Original ist nicht das, was der Künstler sieht, sondern was er schafft. Und so wird der Handwerker unversehens zum Künstler - im Auge des Betrachters. Und aus der qua definitione öden Schaufensterscheibenübertünchung wird eine (mehr oder weniger) interessante Malerei. Dieses Ergebnis ist purer, wenn auch vielleicht nicht reiner Zufall. Denn tatsächlich wissen wir ja nicht, ob der oder die Anstreicher Malerei schaffen woll(t)en. Doch egal ob nun Individual- oder kollektives Werk: ein klassischer Fall von nichtintensionierter Kunst ? !

 

Und damit treten wir endgültig aus dem Raum über den wir noch weniger sagen können wie über die Arbeit die an seiner gläsernen Grenze geleistet wurde - denn in Wahrheit haben wir ihn nie betreten - hinaus auf die Straße. Die Straße, auf der wir ja doch die ganze Zeit waren, den eigentlichen Schauplatz dieser Schaufensterkunst. Und das ist das nächste Paradox: die "Kunst" wird im Innenraum gemacht, findet jedoch (erst) auf der Straße statt. Der Franzose hat einen geheimen Sinn für die Entstehung dieser künstlerischen Zwitter, oder sind es Wechselbälge? Bei ihm heißt das Schaufenster auch "vitrine", also Schaukasten: die drei Dimensionen der Höhe, Breite und der Tiefe vermählen sich. im Spiel auf, hinter und in der Scheibe. Denn dadurch, daß der Raum hinter der Malerei auf der Scheibe ja real ist, ist die Idee der Bildtiefe ein klein wenig mehr als eine bloße Illusion. Wie illusionär aber ist der Kunstcharakter der Schaufenster-scheibenübertünchung - ohne eigenen Anspruch ?


Natürlich sind wir es gewohnt, "alles" durch die kunstgeschichtliche Brille zu betrachten, aber unabhängig davon: wenn es nicht nur eine vehemente, sondern auch eine stringente Arbeit ist, hat sie allen Anspruch darauf, als künstlerisches Werk - und sei es ein (mehr oder weniger) zufälliges - angesehen zu werden. Und Axel Philipp ist ihr symbolischer Geburtshelfer: er hat solche Arbeiten, solche Werke gesucht und gefunden. Er hat sie vor dem Vergessen bewahrt, und sie "eigentlich" erst zu dem gemacht, als was sie in seinen fotografischen Arbeiten erscheinen: Kunst. In diesem Sinne: die einzige "Kunst am Bau" die ich gelten lasse.


 

Wolf Pehlke, 1997

Text im Katalog zur Ausstellung Die Sprachlosigkeit – Die Vernutzung im Kunstverein Konstanz, 1997

 

DIE VERNUTZUNG DER ZEIT

 

Obwohl es seit Kants Antinomien müßig ist, über das Ganze der Welt theoretische Aussagen zu machen, ist es doch keineswegs gleichgültig, nach Bildern zu fahnden, die dieses als Gegenständlichkeit unerreichbare Ganze „stellvertretend“ vorstellig machen.

 

Schon seit langem sind unsere Vorstellungen über Schaffensprozesse und Erschaffungen in der Kunst von Klischees gesättigt, deren Benennung erst einmal gefunden werden musste. Genialität, Musen und Engel, Inspiration und begnadete Hände auf der einen Seite. Hinterfragungsstrategien, Spurensicherung, Konzepte und Trashkultur auf der anderen Seite. Kopf vor Bauch und Bauch vor Kopf – entweder / oder.

 

Eine kleine Geschichte der Skepsis ist angebracht. Es kennzeichnet die Zusammenhänge zwischen AbgeBildetem und unserer Wahrnehmung, dass wir oft nicht so recht entscheiden können, was da bedrohlicher ist: das Kunstwerk selbst oder die Art wie wir darüber nachdenken und wozu wir das Kunstwerk durch unser Denken machen.

 

Darin liegt einer der vielschichtigen Ansätze von Axel Philipp: Fallen zu stellen in den Beziehungen zwischen verbindlicher Gegebenheit, deren wir als Natur habhaft werden möchten den im Bewusstsein produzierten Bildern, in denen wir die vorfindbare Außenwelt
In den Metaphern der Kunst gestaltend anpassen wollen.

 

Das Verfahren ähnelt der Monotypie, einem Blindruckverfahren, das in der Austauschbarkeit und der Wechselbeziehung von Gestaltung und Findung die Ästhetik als Konstitution verwertet. Im eigentlichen Sinne als Ziel einer Beobachtung und dann einer Erfahrung und eben nicht als bloße Funktion einer Vernutzung. Die erweiterten Bedingungen lassen andere Erfahrungszusammenhänge zum Zuge kommen, freiwillig oder unfreiwillig bloßgelegt, und folglich um vorschnelle Semantisierungen zu unterbrechen.

 

Schmirgel-Papier: Von der gesellschaftlich-industriell genormten Form zu einem plausiblen Gegensatz zwischen ästhetischer Konstitution und interpretatorisch-funktionaler Verwertung, im Zustand höchster Ordnung und unendlicher Möglichkeiten zugleich – eine Fülle und Harmonie, die souverän neben Klassikern der Bildidee bestehen kann.

 

Raum, in seiner gesamten dinglichen Erfüllung, verteilt die Dialektik der Aufklärung, Naturbeherrschung und Naturbetrachtung auf ein suggestives Bild, in das sich nun auch Rückprojektionen einmischen. Die graphische Auflösung auf Schmirgel-Papier, die eine von Kraft- und Energieströmen durchwirkte Natur bezeichnet tritt an die Stelle einer sich im Licht brechenden und aktivierenden Irritation gewesener und zukünftiger Bilder.

 

Das Recycling von Kunstgeschichte und Zeit behauptet nun beiläufig die Existenz von Leonardo da Vincis Sintflutskizzen (ca. 1514) ebenso wie Monets Reflexionen der Weiden (ca. 1918-25). Wir begegnen den schwarzen Stichen Wassily Kandinsky (1913), Number 32 von Jackson Pollock (1950), Cuodro 97 von Mando Milaras (ca. 1966), der automatischen Zeichenschrift Sonderborgs (ca. 1960) und wieder zurück zu den Wolkenbildern von Corot (1918-20) und in der romantischen Tradition, Caspar David Friedrichs Mönch am Meer (1808/9).

 

Dergleichen Abgründe drohen, sie verbergen sich in der räumlichen Schichtung der Oberfläche, der Vorderseite der Dinge; in der Überwältigung des Menschen durch Bilder ohne jede Koordinaten, die das feste Gerüst des Raumes gewährleisten und die feinsinnige Beobachtung des Betrachters definieren. Dem Rückgriff auf Rudimente von Landschaft folgt eine direkte und expressive Bildsprache, die derlei völlig zurückdrängt.

 

Aus den abstrakten Möglichkeiten der Malerei gedacht, denkt Axel Philipp weiter vorwärts, in der Akzentverschiebung zwischen Gegenständen der äußeren Welt und inneren Bild-Strukturen. Sorgfältig und gerissen darauf bedacht, dass seine Schmirgel-Papiere sich nicht als Illustration von Gedanken einfangen lassen, um sie zu vereindeutigen. Kausalität ist dafür keine geeignete Kategorie und Vernutzung fügt sich nicht in gattungsgemäß einzuordnende Bilder.

 

Le Monde (die ganze Welt) und le tableau (die Tafel) gehen eine direkte Beziehung ein. Improvisation einer strengen Komposition aus Zeit und optischer Unschärfe, , die eine unmittelbare Beteiligung des Sehens und Beobachtens herleiten und voraussetzen – ohne jede wissenschaftliche Vorbilder.

 

Wir sind involviert durch die unbegrenzte Offenheit optischer Strukturen und ihrer Überfülle an Naturhaftigkeit. Das sinnliche Angebot gibt keinen Begriff ab, in dem wir es zusammenfassen könnten, um es abzuschließen. Schwingend und lichtvoll. Gleich flach und tief. Erde, Wasser, Luft. Räumliche Schichtung. Verflüchtigte Malerei. Sich rechtwinklig kreuzende Zeichen aus dem Mittelpalläolithikum.

 

Das auf den ersten Blick völlig starre der Farben, fundamentale und einfachste Repräsentanten der gesamten anschaulichen Welt, bricht auf und vernutzt sich im Prozess abgeschlossener Zeit-Schichten zur filigranen und bewegten Dosierung von Linie, Fläche und Licht. Das Mechanische scheint sublimiert bevor die Wahrnehmung folgt: Eine ideale Verbindung des rechten Winkels mit Schwarz und Weiß, von der wir nicht wissen, ob sie im Prozess des Hervorkommens oder des Vergehens festgehalten wird.

 

Axel Philipp bewerkstelligt diese Versöhnung von Zufall und Automatismus gelenkter Spuren entlang paradoxer Ordnungszustände. Malerei zeigt sich hier wirkungsgeschichtlich als Vorarbeit. Es ist 1 Bild, ohne dass man dabei Teile dieses Ganzen benennen könnte. Aus der Idee des bewussten surrealistischen Automatismus wird die Schranke weit über die angesichtige Wirklichkeit hinaus geöffnet.

 

Auflösung und Verdichtung sind aufs höchste gesteigert. Sie machen jenen Blick in das naturhafte schöpferische Chaos sichtbar, das unsere Existenz entlaste: als einen höchst anfänglichen Zustand, als ein allererstes, ursprüngliches Beginnen, eine allererste Spur, sich dem Risiko der Einmischung auszuliefern.

 

Was Petrarca sieht sind Berge, Flüsse und das Meer und nicht etwa künstliche Ordnung menschlicher Siedlungen. Was wir sehen ist neu und neu zu erforschen: Wie sich Holz in Papier verwandelt, wie aus Papier Schmirgel-Papiere produziert werden, wie diese nun in das Holz zeichnen. Wohl jede Erscheinung in der Natur, richtig und würdig und innig aufgefasst, kann ein Gegenstand der Kunst werden, in dem historische Vorgänge historisch werden und der historische Prozess zu einem Bestandteil im Bewusstsein wird.

 

Eine werkimmanente Struktur anstelle eines externen Gegenstandes , den zu erklären und zu illustrieren zur Funktion des Werkes gehört. Nicht nur in Hegels Phänomenologie des Geistes sondern mittelbar, beiläufig und hintersinnig in den Schmirgel-Arbeiten von Axel Philipp

 

Wolf Pehlke

 

 

Quellen:
K. Ludwig Pfeiffer
Literarische Landschaften im England des 19. Jahrhunderts

 

Hans Blumenberg
Zur Methaphorolgie

 

Gottfried Boehn
Das neue Bild der Natur


 

Wolf Pehlke, 1996

Text anlässlich einer Installation mit Altöl im Atelier, 1996

 

Auf der Suche nach einem Traum

 

Wir haben Surrealismus für tot erklärt. Wir haben das Quadrat von Malewitsch überwunden. Und wir haben Filz, Fett und Honig in den Annalen archiviert. Was also kann es bedeuten, einen Fußboden schwarz anzumalen, um ein Deckengemälde zu erschaffen?


Axel Philipp erfüllt sich einen Kindertraum. Matt glänzendes, trübes Altöl. Nicht eine Wanne voll davon; ein ganzer Raum. 300 Liter auf einem nahezu hauchdünnen Film zwischen vier Wänden ausbalanciert. Ein Traum, der das ganze Atelier zur Inszenierung einer gespiegelten Betrachtung frei gibt. Oben das Deckenlicht einer umlaufenden Spitzdachverglasung. Unten die plane Pegel-Fläche aus Altöl, die sich über den gesamten Fußboden spannt. Eine unbetretbare Versiegelung.


Es ist leicht, dabei an Zen zu denken. Auch an die Installation von Haraguchi auf der documenta 6. Beides wäre leichtfertig Zengärten und Zenteiche versinnbildlichen über den landschaftlichen Raum hinaus das Universum als Raum. Der Kosmos ist ein Tautropfen. Zen folgt diesem Weltbild, Architektur ausschließlich zu transzendieren. Axel Philipp hingegen fügt einer Entmaterialisierung seiner Archtektur die bewußte Präsenz der Materialisierung einer Architekturidee hinzu.


Und das Ölbecken als Spiegelteich von Haraguchi bleibt ein Fragment, das den Raum zwar mit einbezieht, ihn aber als Teil unter anderen Teilen versteht. Die Spiegelungen befragen das Selbstverständnis, das wir gegenüber Archtektur empfinden. Die Fragen nach der Logik von Proportion und Perspektive sind letztlich die Fragen nach dem Wesen und der Allgemeingültigkeit der Natur. Eine optische Brechung zwischen Naturgesetzen und Wahrnehmung. All dies geschieht vor unseren Augen, aber was ist Architektur?


Und was ist das AbBild der Architektur? , stellt sich in dem Raum von Axel Philipp die Frage. Architektur, die sich als Architektur abbildet. Architektur, die sich in der Spiegelung zur Modulation und Modellierung eines Bildes über den Raum verwandelt bis das Gemälde der Raum selbst ist. Bis der Sog der Raumtiefe die perfekte Simulation zurückführt zur realen Architektur, die nur noch als unwirklich verwischtes Gemälde erscheint. Die Schwindelgefühle der Wahrnehming heben ab zur Höhenangst vor dem Fußboden.


Aus geringem Anlaß. Das raumfüllende Altöl bedeckt beängstigend glatt und unberührbar kaum fingerbreit bis millimeterdünn den unebenen Atelierboden. In eine feste Plane gebettet; die Ränder keineswegs kaschiert. Das Trugbild ist offensichtlich. Konstruktion und Provisorium für den Augenblick eines Traums; einer Vision. Ein privates Ereignis, das keinen Anschluß sucht an den Handel mit öffentlichen Attraktionen. Betrachtung anstelle von Beachtung. Könnte das nicht auch eine hoffnungsvolle und sehnsüchtige Archtektur der Kunst sein?


Öl recycelt sich hier nach Gebrauch als Auto-Altöl zur Kunst, um nach dem gebrauch für Träume und Grenzerfahrungen wieder der ökologischen Entsorgung überlassen zu werden. Das Material gesellschaftlicher Mobilität, ein Material der Bewegung und ein äußerst bewegliches Material wird von Axel Philippangehalten und in der Magie seiner spiegelglatten Erstarrungen den Augen überlassen. Die Bewegungen anhalten und innehalten. Das der Norm des Verbrauchens entfremdete Material entzieht sich dem genormten Umgang. Auch dem genormten Umgang mit der Kunst.


Die Erfindung der Ölfarben für die Malerei wird den Gebrüdern van Eyck zugeschrieben. Es handelt sich also um ein ebenso altes wie altmeisterliches Material und Mittel der Kunst. Ölfarben verfeinern die Kunst, farbliche Übergänge stufenlos ineinander überfließen zu lassen. Als Schlußfirnis über das Bild gelegt, versiegelte das Öl die Malerei als abgeschlossen und fügte das Bild als ganzes zusammen. Eine gleichmäßige Oberfläche, die dem Bild eine brilliante Tiefenschärfe und gleichzeitig ein Sfumato verleiht, wie ein auf der Linse aufgesetzter Farbfilter.


Einen Fußboden wie einen Bildträger mit einer dünnen Schicht Öl in der Funktion als Farbe zu belegen ist also Malerei. Nicht Architektur. Malerei in Farben also. Die Farbe ist ihre Summe des Gebrauchs durch Bewegung. Die Farbe ist schwarz. Metallisch, bläulich schimmernd im Licht. Dunkel, trübe und zäh. In sich selbst nur ein eigentümliches und unergründliches Schwarz. Im eigentlichen Sinne der Farbenlehre ist dies: keine Farbe. Erst durch Spiegelung und Licht offenbaren sich im Schwarz: alle Farben. Das Zusammenmischen gleicher Anteile der Grundfarben ergibt schwarz.


Die Augen stoßen im schwarzen dunklen Öl der Nicht-Farbe auf eine nie gesehene Farbigkeit. Aus Hilflosigkeit greifen wir nach einer Ahnung von einer außergewöhnlichen Fotographie, die körnige Grauabstufungen gerastret, auf eine silberbeschichtete Bleiplatte belichtet ist. Aber Zuordnungen und Worte schmälern ein solches Erlebnis, das keinen anderen Anlaß bieten will als physische Präsenz und Konfrontation und psychische erfahrung. Das Wort Bewußseinserweiterung kehrt hier, jenseits von religiös-ekstatischen Simulattions-Oblaten der neuen Medien und ihrem Cyber Space aus der Steckdose zurück zu seinen Wurzeln.


Das Gemälde melierter Farben wölbt sich mit der plastischen Wucht pastos, kreidiger Töne auf grobem Rupfen in der Glätte des Bildträgers. Dann beginnt es nach unten abzutauchen.


Es sinkt hinab in die Tiefe, in die Unendlichkeit eines schwarzen, öligen Weltalls, wo es nur noch aus scharf geschnittenen Grundrßlinien der Architektur gehlaten wird, um nicht weiter zu stürzen. Die Spiegelung der Deckenverglasung wird zur Navigation auf dem Weg zu einem letzten Fixstern bevor das Universum über den Rand kippt. Dorthin wo jenseits der spitzwinkeligen Tiefe des Glasdaches eine noch unvorstellbare Leere herrscht.


Im Cartoon vollzieht sich immer wieder jener Moment des Abstürzens, wenn zwischen Fiktion und Realität das Bewußtsein tritt. Eine Cartoonfigur rennt achtlos über eine Klippe hinweg weiter un weiter auf der Luft gerade aus. Erst in einer Folge von Zurück-Blicken und Hinab-Blicken in den Abgrund erfaßt das Bewußtsein die überschrittene Grenze der Natur. Der Absturz findet zeitlich verschoben statt als konsequenter Vollzug gültiger Natur-Gesetze. Der Raum, zu dem Axel Philipp uns einlädt, läßt uns nachvollziehen, wie wir abstürzen sobald wir unseren Blickwinkel einzig der Rationalität und Logik überlassen.


Ein gültiges Gesetz des Raumes ist, daß er in Echt-Zeit existiert und daß er sich parallel dazu in Echt-Zeit wiederholt. Eine Projektion ohne jede Zeitverschiebung. In der Logik der Zeit würde ein Absturz bedeuten, in beiden Räumen gleichzeitig abzustürzen, oder im Sinne von Einstein den realen Raum als zurücklaufende Zukunft und seine Projektion als voranschreitende Vergangenheit zu begreifen. Der Absturz wird zur Zeit-Reise, die auch den Gesetzen der Schwerkraft entgegentritt. Wer in der Projektion nach unten abstürzt, fällt im realen Raum nach oben.


Die beobachtungen setzet den Verstand außer Kraft. Der Raum stülpt sich in das Zentrum der Zirbeldrüse, dort wo auch Wirkstoffe des Bhodi-Baums und LSD ansetzen. Da sich der Betrachter auf der gleichen Ebene wie der Bildträger Öl befindet, transzendiert der projezierte Raum zur Unterseite Realität, während der reale Raum immer mehr zur Architektur eines Bildes auf der Rückseite des Bildträgers wird. Und das massive in den Raum drängende Volumen der Architektur stülpt sich wie ein umgewendeter Kubus in den Begriff Innen-Raum, in das Innere eines Raumes, nach unten. Darin wiederum begreift sich ein Skulptur-Begriff seit Donald Judd.


Ist es also eine Skulptur? Ein Körper, der sein Äußeres nach innen stülptund uns auf der Netzhaut des Öls daran teilhaben lässt. Was nehmen wir wahr? Und was wissen wir über das, was wir wahrnehmen? Wir wissen, daß das Öl für sich genommen ein bewegliches Material bleibt. In der Bewegung ist es einRelief. Zum Objekt erstarrt es in der Inszenierung. Und seine inszenierte Erstarrung wiederum ist die Organisation anderer Konditionen. Also eine Installation. Die Begriffe verweigern sich zutreffend zu sein. Die Architektur hingegen beharrt auf ihren vorgegebenen Konditionen. Aber ist es Architektur, der Dialektik zu widersprechen? Und ist es ein Bild: einenWiderspruch zu spiegeln. Wir kommen mit unserem Verstand nicht weiter. Und das ist gut so.


Denn bei allem ist so oft die Rede davon und so wenig das Bild für die Augen. Und noch seltener: der Raum für solche Erfahrungen. Axel Philipp hat ein Ereignis von spröder Intimität manifestiert, das nicht nur das Wesen der Kunst, sindern auch unsere Augen darin berührt. So zärtlich wie ein Messerschnitt von Bunuel durch unsere Kinderträume.


 

Franz Littmann, 1994

 

Hoch-Sitz / Schau-Platz

 

Die Ausdehnung der Entmaterialisierung der Welt hat Aus- und Nebenwirkungen. Unvermeidlich damit verbunden ist eine spezifische Verarmung. Das Reflexions-Ich, das möglichst nichts mit der Materie zu tun haben möchte, sucht seine Selbstbestätigung in seinem eigenen Denken. Das Verhältnis zum Anderen gestaltet es so, dass ihm im Anderen nur sein Spiegelbild begegnet. In der Rede des Anderen versteht es nur das, was es selbst in sie hineinlegt. So schließt sich das Spiegelkabinett: Die sprachlich verdoppelte, d.h. entmaterialisierte Wirklichkeit verdoppelt sich ein weiteres Mal. In der Rede, im Diskurs mit den Anderen. Sprache wird mehr und mehr zum „Mord an den Dingen und an den Menschen“ (Kamper). Der leibhaftige Ausdruck, die sinnliche Materialität werden als störend empfunden, weil die Bemächtigungsstrategien des neuzeitlichen Individualismus in einer Gesellschaft, die sich immer mehr über die Verbreitung von Informationen reproduziert, zunehmend zur Totalität hin tendieren. Der Ausgangspunkt der Moderne , dass Natur und Materie der wertvolleren Substanz, dem Denken und der Vernunft untergeordnet sind, wird endgültig Realität.
Zum Ausdruck gebracht wird dieses Verständnis durch die Sitzhaltung. Sie stellt eine Distanzierung dar gegenüber atavistischen Persönlichkeitsstrukturen, die noch Abstützung durch Götter, Ahnen, Gemeinschaft usw. brauchen.
Heutzutage erleben wir die Selbstvergötterung des Menschen. Eine religiös unterbaute Subjektivität wird durch säkularisierte Vorstellung von sich selbst ersetzt. “Das Ich unterjocht raubt tödtet und thut jede Gewalttat: mit alledem will es nichts als seiner Schwangerschaft diene: damit es einen Gott gebäre und alle Menschen ihm zu Füßen sehe“- so diagnostizierte Nietsche den Sachverhalt.
Das Instrument, mit dem Gottähnlichkeit hergestellt wird, ist das Auge. Ihm wird die absolute Vorrangstellung vor allen anderen Sinnen eingeräumt. Das Auge sieht, hält Distanz, kontrolliert usw., ohne selbst gesehen zu werden. Jetzt herrscht der Mensch über seine Natur. Verkörpert wird diese Haltung durch den (Hoch)-Sitzenden; es ist die säkularisierte Herrschaftsgeste des Thrones. Aber die Hybriden-Existenz des “homo clausus“, der die Naturzwänge aufhebt und jede Referenz auf Anderes vergisst, fordert Opfer. Symptomatische Erscheinungen am Ende dieser Entwicklung sind Rückzug, Reterritorialisierung in scheinbar autarke, in Wirklichkeit wahnhafte Gemeinschaften, Depression, Sucht, selbstzerstörerisches Ausagieren, Arbeits- und Leistungsverweigerung usw.. Unter solchen Verhältnissen wird der Andere nur als Störung empfunden. Ja sogar als Bedrohung, als Eindringling. Sein Gesicht, sein Lachen, sein Rauchen, seine pure Existenz strahlen ein unvergängliches Begehren aus (Zizek). Es durchkreuzt und behindert den Willen, alles auf das Selbe zurückzuführen. Darauf reagiert der moderne Mensch mit Ausschluss des Anderen und nahezu vollständiger Selbsteinschließung. Auf das damit verbunden Lebensgefühl beziehen sich Rilkes Gedichtzeilen:


„Ich bin nur einer deiner Ganzgeringen,
der in das Leben aus der Zelle sieht
und der den Menschen ferner als den Dingen,
nicht wagt zu wägen was geschieht.“

 

Indem sich der Mensch festgesetzt hat in der Zelle (selbsteingeschlossen, selbstkontrolliert, selbst-ständig), ist er zu dem geworden, was er zu überwinden versuchte: Ein Opfer von Zwängen. Das Spiegelkabinett der deformierten (präformierten, in-formierten) Wahrnehmung bedeutet ein Verlust an Lebendigkeit, der auch durch ein Maximum an körperlicher Anstrengung nicht kompensiert wird (Laufen, Arbeiten, Tanzen usw. bis hin zum „Karoshi“).

Indem Axel Philipp eine elementare Denkfigur der Moderne thematisiert, nämlich das Aufrichten/Hochsitzen, bringt er undurchschaubare Selbstzwänge unserer Gesellschaft zur Sprache. In der Kanzel, hochsitzend, reduziert auf das Beobachten des Objekts, kontrollierend, den Blick ge-richtet (dasselbe geschieht auf der Kanzel, in der Kanzel und im Kanzleramt), bemächtigt sich der Mensch der Welt, der Natur....., verliert den Bezug zur Welt, zum Anderen.
Wie ein Schamane hält Axel Philipp dieses Welt-Bild präsent. In der Art und Weise jedoch, wie er es zum Ausdruck bringt, verweist er auf mögliche Auswege, auf eine höhere Bewusstseinsstufe, auf eine mögliche Ethik des Blicks, wie man sie beispielsweise in Kafkas Schriften findet. Voraussetzung dafür ist aber die Wahrnehmung der perspektivischen Verzerrung, d.h. der Deformation und Verunstaltung. Nur das Bewusstsein davon kann uns dazu verhelfen, von unserer verzerrten Gestalt Abstand zu nehmen....