Surspace (Martin Heus, 2008)
zur Ausstellung im Kunstverein Bretten
Wir befinden uns hier in einem Kunstverein, was zur Folge, dass alles, was an der Wand hängt oder auf einem Sockel steht und generell alles, was wir nicht auf den ersten Blick als Mobiliar des Ausstellungsraums identifizieren können, dem Generalverdacht ausgesetzt ist, Kunst zu sein. Die Arbeiten von Axel Philipp, machen da keine Ausnahme:
Sie erwecken den Anschein abstrakter, gegenstandsloser Bilder die sich vor allem im Gestus des Farbauftrags unterscheiden, sich ansonsten aber jeglicher Abbildung einer äußeren Wirklichkeit verweigern. Man ertappt sich unwillkürlich dabei, sie als Zitate auf die Handschrift bestimmter Künstler oder Stilrichtungen zu deuten. So begegnen uns z.B. Jackson Pollock, Wassily Kandinsky, Arnulf Rainer, Barnett Newman, Mark Rothko, Jean Dubuffet und natürlich Andre Massons Sandbilder und Joan Miros Malereien auf Schmirgelpapier.
Alles scheint klar und die Welt in Ordnung, bewegen wir uns doch auf dem sicheren Boden abstrakter Malerei und glauben uns mit ihren Problemstellungen und Bildfindungen bestens vertraut. Aber genau hier tappen wir das erste Mal in eine Falle. Eine Falle, die Axel Philipp für uns aufgestellt hat und der Boden bekommt erste Risse, handelt es sich doch gar nicht um Kompositionen im klassischen Sinn und auch die vermeintlichen Kunstgeschichtsbezüge sind so von ihm nicht intendiert.
Vielmehr handelt es sich bei den Arbeiten um Fundstücke aus der Welt des Alltäglichen, des Zufälligen und Abfälligen, die erst durch Philipps Auswahl in den Kunstkontext überführt werden. Tatsächlich sind es Abfälle, Abfälle handwerklicher Tätigkeiten und im besten Fall Erinnerungsspuren, die der Künstler als Sammler von Beutezügen aus seiner Umwelt mitgebracht hat.
Halb so schlimm werden sie sagen: Objet Trouvès also, Trashkunst!
Sicherer Boden!
Aber irgendwie wird man das Gefühl nicht los, dass die kleinen Risse, die sich bereits abzeichnen größer werden und das sich Abgründe darunter verbergen könnten.
Sicherer Boden:
Der ein oder andere unter ihnen wird sich sicher gefragt haben, was es mit dem Titel der Ausstellung auf sich hat. Vielleicht haben sie sogar nachgeschlagen und haben das Wort SURSPACE nicht gefunden. Ich kann sie beruhigen, es ist ein Kunstwort und findet sich in keinem Wörterbuch.
SURSPACE – wir wollen uns dem Wort auf Französisch nähern (obwohl es auch im Englischen funktionieren würde) – ist ein Konglomerat aus drei Begriffen:
Espace: der Raum
Surface : die Oberfläche
und
Sûr : sicher im Sinne von geheuer.
Sur-face wäre dann also das sichere Angesicht einer Sache – der sichere Boden seiner Oberfläche.
Lassen wir das vorerst so stehen – quasi als Gliederung und Referenzpunkt meiner weiteren Ausführungen. Wie verhält es sich nun mit den formalen Aspekten von Philipps Arbeiten und was hat man sich unter Zeichnungen mit Schmirgelpapier eigentlich vorzustellen?
Jeder, der schon einmal mit Schmirgelpapier gearbeitet hat, kennt das Phänomen: Beim Schleifen bleiben Teile des Werkstücks am Schleifpapier zurück. Abhängig vom Material, der Körnung des Papiers und dem ausgeübten Druck bilden sich Spuren der Farbe oder sogar der Form des bearbeiteten Objekts auf dem Papier ab. Dieses wird dadurch zunehmend unbrauchbarer. Die „Ergebnisse“ reichen von duftigen, an Kreidezeichnungen erinnernden Blättern, bis zu pastosen Strukturen. Darüber hinaus bilden sich auch eventuelle Faltungen, wie sie beim Schmirgeln ohne Schleifklotz auftreten auf der Oberfläche des Papiers ab. So entstehen, an konstruktivistische Bildfindungen erinnernde Abriebe.
SURFACE
Diese zweidimensionalen Spuren dreidimensionaler Objekte – theoretisch ganzer Räume – montiert Philipp schließlich auf Holzblöcke und überführt die von ihm ausgewählten Papiere somit wieder in dreidimensionale Objekte, die dann in den Ausstellungsraum hineinragen.
ESPACE
Im Gegensatz zu Max Ernst in seinen Frottagen, kommt Philipp in seinen Schmirgelbildern ohne ein zusätzliches Zeichenwerkzeug aus, da ja das beriebene Objekt selbst die Farbe liefert. Es sind also eigentlich gar keine Zeichnungen im klassischen Sinn und das Schmirgelpapier ist für Philipp auch nicht einfach eine unkonventionelle Leinwand. Vielmehr findet ein Austausch zwischen dem farbgebenden Objekt und dem Bildträger statt. Dabei werden, im Gegensatz zu herkömmlichen abbildenden Verfahren, beide in ihrer Substanz verändert. Das Positiv – um einen Begriff aus der Fotografie zu bemühen – das sich auf dem Schmirgelpapier abbildet, und als indexikalische Spur auf sein Urbild verweist, hinterlässt seinerseits eine Negativspur auf dem beriebenen Objekt. Das Abbild hat also an der Materie seines Urbildes teil und verursacht und bezeugt dabei dessen materiellen Verfall. Gleichzeitig jedoch erschließt es eine vollkommen neue Bildhaftigkeit, die sich in ihrem Sinnesreiz zu einer eigenständigen Größe manifestiert.
Einmal angenommen, Philipp würde eine Pfeife abschmirgeln, würde Rene Magritte auch einem solchen Bild ohne weiteres attestieren können, keine Pfeife zu sein? Er würde zumindest ins Grübeln kommen und sich wahrscheinlich von Philipps Schmirgelpapierbildern verraten fühlen – La trahision des images.
Da sind sie wieder die Risse! Und mittlerweile scheinen die Abgründe ganz deutlich hervor!
SÛR? - FACE
Die eben aufgeworfene Frage nach der Beziehung zwischen Urbild und Abbild in Philipps Bildern berührt ein zentrales Paradigma von bildender Kunst und Ästhetik: Die Mimesis.
Die Frage, inwieweit künstlerische Nachahmung und Repräsentation der Wirklichkeit möglich oder notwendig ist, zieht sich implizit seit den Höhlenbildern von Lascaux und explizit seit Platon als roter Faden durch das Labyrinth der Kunsttheorie und ein Ende ist nicht abzusehen.
Philipps „Lösung“ möchte ich als hypermimetisch bezeichnen: Seine Schmirgelpapierbilder sind mehr als Nachahmung der bearbeiteten Dinge, sie haben vielmehr Teil an ihnen, sind oberflächlich wesensgleich. Es sind Erinnerungen an etwas, dass nicht mehr existiert – nicht mehr so existiert, es sind Erinnerungsbilder, Reliquien ihrer Farbgeber. Außerdem sind es Werk-Zeugen, einer vergangenen Handlung, die sie in ihrer Zufälligkeit dokumentieren. Darüber hinaus und das ist das eigentlich abgründige an ihnen, sind sie Bilder eigener Wirklichkeit, die als solche geliebt sein wollen und als etwas Wahres anerkannt werden wollen. Ihr Da-Sein und ihre Liebenswürdigkeit schöpfen sie gerade daraus, dass ihre lächelnde Oberfläche, das, was ich sehe oder weiß, nicht in der Materialität und Diskursivität aufgeht.
Wie bereits angemerkt, bewegt Philipp sich mit seinen Schmirgelpapierarbeiten in der Tradition der Ready Mades, oder besser Objets Trouvès – der eigentliche künstlerische Akt liegt in der Auswahl und Überführung der zum Wegwerfen bestimmten Schmirgelpapiere in den Kunstkontext – Marcel Duchamp lässt grüßen.
Aber auch die „ecriture automatique“, der Automatismus der Surrealisten drängt sich auf, ist doch das was wir an den ausgestellten Arbeiten für Malerei, für bewusst gestaltete Oberfläche – für Ausdruck von Künstlersubjektivität – halten, ein zufälliges Abfallprodukt handwerklichen Gestaltungswillens. Keine Kompositionen sondern Zufälle – schöne Zufälle allerdings, das muss man schon sagen!
Mit dem Zufall ist das aber so eine Sache: Es ist natürlich kein unbedingter Zufall, den Philipp heraufbeschwört, sondern eher ein kultivierter. Schließlich setzt er die Rahmenbedingungen, wählt das Objekt und hat eine gewisse Erwartungshaltung an das „Resultat“.
Sein Vorgehen ähnelt daher eher einem Experiment als einer Seance und wirft damit einen ironischen Blick auf den surrealistischen Automatismus und dessen Betonung des Unterbewussten – Philipp ist eben kein Tiefenpsychologe künstlerischer Form, der mit seinen Schmirgelpapierbildern eine Art Archetypenlehre avantgardistischer Bildfindungen aufstellen will. Ein Bruder im Geiste wäre daher weniger Andre Breton als vielmehr John Cage mit „4´33“ von 1952 – kultivierter Zufall par exellence.
Da Philipp seine „Zufallsexperimente“ seit Jahren immer wieder wiederholt wird der Zufall in seiner Arbeit ein Stückweit zur Routine, Muster schleifen sich ein - werden vorhersehbar. Das ist es auch, was uns in seinen Arbeiten begegnet, eingeschliffene Muster, Farben, die sich in das Schmirgelpapier eingeschliffen haben. Bilder, die uns mit unseren eigenen eingeschliffenen Rezeptionsmustern konfrontieren.
A propos John Cage und „4´33“: Viereinhalb Minuten lang ist der Zuhörer hier dem Rauschen und Murmeln der ihn umgebenden Realität ausgesetzt – verpackt in kultivierten Zufall. Etwas ähnliches passiert uns vor den Schmirgelpapierbildern von Axel Philipp:
Die Arbeiten zeigen auf ihrer Oberfläche nichts vom Künstler geplantes und dennoch nehmen wir sie als abstrakte Malerei wahr. So konfrontieren sie uns mit unseren eigenen Strategien im Umgang mit dem mehr oder weniger chaotischen Rauschen unserer Umwelt, dem Übermaß an Information, das ständig auf uns einströmt. Versuchen wir doch im Alltag – und noch viel mehr im Umgang mit Kunst – unablässig dem Wirrwarr der Erscheinungen Herr zu werden, indem wir Gesetzmäßigkeiten, Regeln und Mythologien suchen, die das Rauschen in eine melodische Partitur verwandeln. In unserem Fall soll das Zufällige in den Bildern durch den Mythos der abstrakten Kunst strukturiert und gebändigt werden – wir versuchen zu ordnen, Ähnlichkeiten zu finden und sind dankbar, wenn sich uns manchmal als rettender Ast ein Bildtitel anbietet, an dem wir uns entlanghangeln können. Das Ergebnis kann nur eine simulierte Realität sein, die immer Ausschnitt ist und zwangsläufig am Realen scheitern muss. Dieses Scheitern lacht uns in einer Art heiterem Ikonoklasmus aus Philipps Bildern entgegen.
Durch Philipps subtile Strategien, erahnen wir das Abgründige, das in den Bildern aufscheint, allerdings eher, als dass wir es begreifen, aber wir kommen nicht umhin, auch die eigene Umwelt – den so sicher geglaubten Boden der eigenen Denkmuster – anders zu betrachten und wenn wir ganz genau hinhören, vernehmen wir vielleicht sogar das leise Rauschen des Realen hinter der Oberfläche von Axel Philipps Bildern.