Margrit Brehm, 2007

Text zur Ausstellung „EN TRAVEAUX“, Retour de Paris #67 im Institut francais de Stuttgart, 2007

 

EN TRAVAUX

 

Der Titel passt perfekt zum Signal, das die weiß getünchten Schaufensterscheiben setzen, die Axel Philipp fotografiert hat: Hier wird gearbeitet. „EN TRAVAUX“ steht aber auch für den Prozess des Arbeitens selbst, für das Tun, das in den Hinterglasmalereien Spuren hinterlassen hat und – vielleicht nicht auf den ersten Blick erkennbar – für die visuelle und intellektuelle Arbeit, die Reflexion zu der die Abbilder der Realität im Kunstwerk anregen. So eindeutig es sich bei den Fotoarbeiten einerseits um Momentaufnahmen im klassischen Sinn (also weder um inszenierte noch digital manipulierte Fotografien) handelt, so vieldeutig sind sie andererseits lesbar. Realität und ihre Spiegelung, Kunst und Handwerk, Geschichte und Gegenwart vermischen sich und fordern den Betrachter heraus, seine Lesart zu finden.


Vor rund zehn Jahren hat der Künstler mit dem Projekt begonnen, hat die Faszination, die das Paradox der blickdichten Schaufensterscheiben, die in Malerei versunkene Realität, auf ihn ausübten, als Ausgangspunkt für eine persönliche Feldforschung genutzt. Gleichermaßen auf der Suche nach dem präzisen Bild und voll wachem Interesse an der Gestaltungskraft alltäglicher Phänomene, hat er festgestellt, dass die Scheibenmalerei nahezu ausschließlich in romanischen Ländern angewandt wird, dass sie sich in der französischen Provinz eher findet als in Paris, dass sich hinter der weißen Malschicht eher ein (schon lange) leer stehendes, denn ein im Umbau begriffenes Geschäft verbirgt. Jeder Fund erweiterte das Repertoire, jedes aufgenommene Foto machte deutlicher, dass das scheinbar so banale Motiv ungeahnte Perspektiven bereithielt.


Beginnen wir am Anfang: Die Aufgabe des Anstreichers ist es, den Innenraum optisch nach außen abzuschließen. Seine Malerei ist in diesem Sinne Funktion und keine Qualität an sich. Auf die Scheibe aufgebracht, um bald darauf wieder herunter gewaschen zu werden, stellt der Anstrich gar so etwas wie einen Freiraum dar, in dem keine professionellen Regeln gelten. Vielleicht gibt es gerade deshalb Unterschiede, einen souverän aufgetragenem Rhythmus hier, ein unkontrolliertes Zumalen der Fläche dort. An die Stelle standardisierter Ausführung treten individuelle Handschriften, gestische Spuren. In den Fotografien von Axel Philipp ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt und damit in den Kunstkontext überführt, weckt das Erscheinungsbild des Tüncheauftrags Assoziationen an grundlegende Fragestellungen der Malerei in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Informel, gestische Abstraktion und Tachismus, also Malerei als Ausdruck existentieller Befindlichkeit jenseits kompositorischer Prinzipien, kommt dem Betrachter ebenso in den Sinn wie Robert Rymans „weiße“ nicht relationale Bilder oder Gerhard Richters „Vermalungen“ als Suche nach dem Bild, das nichts darstellt, in dem auch die letzte Spur einer malerischen Intention getilgt ist. Malerei, die sich grundsätzlich dem Bild als Abbild der Realität verweigert. Betrachtet man die Fotografien von Axel Philipp im Hinblick auf diese Bildtradition, so sind es aber nicht nur die Parallelen, die man im gestischen Farbauftrag erkennen kann, die Aufmerksamkeit erregen, sondern noch virulenter wirkt die subtile Rückkehr der Wirklichkeit ins Bild.


Eine von hinten bemalte Schaufensterscheibe verhindert nicht nur den Blick nach innen, sondern bildet je nach Lichteinfall auch eine Reflektionsfläche für die Außenwelt. In ihr spiegelt sich die gegenüberliegende Straßenseite, der Alleebaum, die vorübereilende Passantin. Die Arbeit von Axel Philipp besteht in der Transformation des Gefundenen in ein intentionales Bild, eine Fotografie. Seine Einflussmöglichkeiten sind dabei beschränkt. Die Erscheinungsweise der örtlichen Gegebenheiten wie die Bemalung des Schaufensters, die dazugehörige Fassade, die Bebauung der gegenüberliegenden Seite, Verkehrszeichen, etc. kann er in seiner Arbeit nur durch die Wahl einer bestimmten Perspektive während der Aufnahme, bzw. durch die Entscheidung für einen konkreten Bildausschnitt beeinflussen. Eine spezifische Lichtsituation, der Moment, in dem gerade kein Auto vor dem Fenster geparkt ist, verlangen gezielte Planung und geduldiges Warten.


Axel Philipp hat eine sehr konkrete Vorstellung von dem Bild, das er machen will, sucht genau die Perspektive, den Moment, in dem keine der im Bild sich überlagernden Ebenen die Oberhand gewinnt. Die gefundene Malerei und die Spiegelungen der Realität werden in eine Balance gebracht, die umso faszinierender ist, als sie unsere Wahrnehmungsgewohnheiten irritiert. Blicken wir als Passanten auf eine Schaufensterscheibe, so fokussieren wir entweder die Malerei hinter dem Glas oder die Reflektionen auf dem Glas. Das Objektiv der Kamera dagegen richtet sich, einmal auf die richtige Brennweite eingestellt, genau auf das Glas, die transparente Grenze zwischen statischem Tünchebild und flüchtiger Widerspiegelung der Außenwelt und lässt beide Ebenen auf der Fläche der Fotos zusammen fallen. Was sie zeigen sind ungesehene Bilder der Realität, die ein Problem der Malerei thematisieren und – im anderen Medium – eine verblüffend neue Sichtweise eröffnen.

 

Margrit Brehm