Wolf Pehlke, 1996

Text anlässlich einer Installation mit Altöl im Atelier, 1996

 

Auf der Suche nach einem Traum

 

Wir haben Surrealismus für tot erklärt. Wir haben das Quadrat von Malewitsch überwunden. Und wir haben Filz, Fett und Honig in den Annalen archiviert. Was also kann es bedeuten, einen Fußboden schwarz anzumalen, um ein Deckengemälde zu erschaffen?


Axel Philipp erfüllt sich einen Kindertraum. Matt glänzendes, trübes Altöl. Nicht eine Wanne voll davon; ein ganzer Raum. 300 Liter auf einem nahezu hauchdünnen Film zwischen vier Wänden ausbalanciert. Ein Traum, der das ganze Atelier zur Inszenierung einer gespiegelten Betrachtung frei gibt. Oben das Deckenlicht einer umlaufenden Spitzdachverglasung. Unten die plane Pegel-Fläche aus Altöl, die sich über den gesamten Fußboden spannt. Eine unbetretbare Versiegelung.


Es ist leicht, dabei an Zen zu denken. Auch an die Installation von Haraguchi auf der documenta 6. Beides wäre leichtfertig Zengärten und Zenteiche versinnbildlichen über den landschaftlichen Raum hinaus das Universum als Raum. Der Kosmos ist ein Tautropfen. Zen folgt diesem Weltbild, Architektur ausschließlich zu transzendieren. Axel Philipp hingegen fügt einer Entmaterialisierung seiner Archtektur die bewußte Präsenz der Materialisierung einer Architekturidee hinzu.


Und das Ölbecken als Spiegelteich von Haraguchi bleibt ein Fragment, das den Raum zwar mit einbezieht, ihn aber als Teil unter anderen Teilen versteht. Die Spiegelungen befragen das Selbstverständnis, das wir gegenüber Archtektur empfinden. Die Fragen nach der Logik von Proportion und Perspektive sind letztlich die Fragen nach dem Wesen und der Allgemeingültigkeit der Natur. Eine optische Brechung zwischen Naturgesetzen und Wahrnehmung. All dies geschieht vor unseren Augen, aber was ist Architektur?


Und was ist das AbBild der Architektur? , stellt sich in dem Raum von Axel Philipp die Frage. Architektur, die sich als Architektur abbildet. Architektur, die sich in der Spiegelung zur Modulation und Modellierung eines Bildes über den Raum verwandelt bis das Gemälde der Raum selbst ist. Bis der Sog der Raumtiefe die perfekte Simulation zurückführt zur realen Architektur, die nur noch als unwirklich verwischtes Gemälde erscheint. Die Schwindelgefühle der Wahrnehming heben ab zur Höhenangst vor dem Fußboden.


Aus geringem Anlaß. Das raumfüllende Altöl bedeckt beängstigend glatt und unberührbar kaum fingerbreit bis millimeterdünn den unebenen Atelierboden. In eine feste Plane gebettet; die Ränder keineswegs kaschiert. Das Trugbild ist offensichtlich. Konstruktion und Provisorium für den Augenblick eines Traums; einer Vision. Ein privates Ereignis, das keinen Anschluß sucht an den Handel mit öffentlichen Attraktionen. Betrachtung anstelle von Beachtung. Könnte das nicht auch eine hoffnungsvolle und sehnsüchtige Archtektur der Kunst sein?


Öl recycelt sich hier nach Gebrauch als Auto-Altöl zur Kunst, um nach dem gebrauch für Träume und Grenzerfahrungen wieder der ökologischen Entsorgung überlassen zu werden. Das Material gesellschaftlicher Mobilität, ein Material der Bewegung und ein äußerst bewegliches Material wird von Axel Philippangehalten und in der Magie seiner spiegelglatten Erstarrungen den Augen überlassen. Die Bewegungen anhalten und innehalten. Das der Norm des Verbrauchens entfremdete Material entzieht sich dem genormten Umgang. Auch dem genormten Umgang mit der Kunst.


Die Erfindung der Ölfarben für die Malerei wird den Gebrüdern van Eyck zugeschrieben. Es handelt sich also um ein ebenso altes wie altmeisterliches Material und Mittel der Kunst. Ölfarben verfeinern die Kunst, farbliche Übergänge stufenlos ineinander überfließen zu lassen. Als Schlußfirnis über das Bild gelegt, versiegelte das Öl die Malerei als abgeschlossen und fügte das Bild als ganzes zusammen. Eine gleichmäßige Oberfläche, die dem Bild eine brilliante Tiefenschärfe und gleichzeitig ein Sfumato verleiht, wie ein auf der Linse aufgesetzter Farbfilter.


Einen Fußboden wie einen Bildträger mit einer dünnen Schicht Öl in der Funktion als Farbe zu belegen ist also Malerei. Nicht Architektur. Malerei in Farben also. Die Farbe ist ihre Summe des Gebrauchs durch Bewegung. Die Farbe ist schwarz. Metallisch, bläulich schimmernd im Licht. Dunkel, trübe und zäh. In sich selbst nur ein eigentümliches und unergründliches Schwarz. Im eigentlichen Sinne der Farbenlehre ist dies: keine Farbe. Erst durch Spiegelung und Licht offenbaren sich im Schwarz: alle Farben. Das Zusammenmischen gleicher Anteile der Grundfarben ergibt schwarz.


Die Augen stoßen im schwarzen dunklen Öl der Nicht-Farbe auf eine nie gesehene Farbigkeit. Aus Hilflosigkeit greifen wir nach einer Ahnung von einer außergewöhnlichen Fotographie, die körnige Grauabstufungen gerastret, auf eine silberbeschichtete Bleiplatte belichtet ist. Aber Zuordnungen und Worte schmälern ein solches Erlebnis, das keinen anderen Anlaß bieten will als physische Präsenz und Konfrontation und psychische erfahrung. Das Wort Bewußseinserweiterung kehrt hier, jenseits von religiös-ekstatischen Simulattions-Oblaten der neuen Medien und ihrem Cyber Space aus der Steckdose zurück zu seinen Wurzeln.


Das Gemälde melierter Farben wölbt sich mit der plastischen Wucht pastos, kreidiger Töne auf grobem Rupfen in der Glätte des Bildträgers. Dann beginnt es nach unten abzutauchen.


Es sinkt hinab in die Tiefe, in die Unendlichkeit eines schwarzen, öligen Weltalls, wo es nur noch aus scharf geschnittenen Grundrßlinien der Architektur gehlaten wird, um nicht weiter zu stürzen. Die Spiegelung der Deckenverglasung wird zur Navigation auf dem Weg zu einem letzten Fixstern bevor das Universum über den Rand kippt. Dorthin wo jenseits der spitzwinkeligen Tiefe des Glasdaches eine noch unvorstellbare Leere herrscht.


Im Cartoon vollzieht sich immer wieder jener Moment des Abstürzens, wenn zwischen Fiktion und Realität das Bewußtsein tritt. Eine Cartoonfigur rennt achtlos über eine Klippe hinweg weiter un weiter auf der Luft gerade aus. Erst in einer Folge von Zurück-Blicken und Hinab-Blicken in den Abgrund erfaßt das Bewußtsein die überschrittene Grenze der Natur. Der Absturz findet zeitlich verschoben statt als konsequenter Vollzug gültiger Natur-Gesetze. Der Raum, zu dem Axel Philipp uns einlädt, läßt uns nachvollziehen, wie wir abstürzen sobald wir unseren Blickwinkel einzig der Rationalität und Logik überlassen.


Ein gültiges Gesetz des Raumes ist, daß er in Echt-Zeit existiert und daß er sich parallel dazu in Echt-Zeit wiederholt. Eine Projektion ohne jede Zeitverschiebung. In der Logik der Zeit würde ein Absturz bedeuten, in beiden Räumen gleichzeitig abzustürzen, oder im Sinne von Einstein den realen Raum als zurücklaufende Zukunft und seine Projektion als voranschreitende Vergangenheit zu begreifen. Der Absturz wird zur Zeit-Reise, die auch den Gesetzen der Schwerkraft entgegentritt. Wer in der Projektion nach unten abstürzt, fällt im realen Raum nach oben.


Die beobachtungen setzet den Verstand außer Kraft. Der Raum stülpt sich in das Zentrum der Zirbeldrüse, dort wo auch Wirkstoffe des Bhodi-Baums und LSD ansetzen. Da sich der Betrachter auf der gleichen Ebene wie der Bildträger Öl befindet, transzendiert der projezierte Raum zur Unterseite Realität, während der reale Raum immer mehr zur Architektur eines Bildes auf der Rückseite des Bildträgers wird. Und das massive in den Raum drängende Volumen der Architektur stülpt sich wie ein umgewendeter Kubus in den Begriff Innen-Raum, in das Innere eines Raumes, nach unten. Darin wiederum begreift sich ein Skulptur-Begriff seit Donald Judd.


Ist es also eine Skulptur? Ein Körper, der sein Äußeres nach innen stülptund uns auf der Netzhaut des Öls daran teilhaben lässt. Was nehmen wir wahr? Und was wissen wir über das, was wir wahrnehmen? Wir wissen, daß das Öl für sich genommen ein bewegliches Material bleibt. In der Bewegung ist es einRelief. Zum Objekt erstarrt es in der Inszenierung. Und seine inszenierte Erstarrung wiederum ist die Organisation anderer Konditionen. Also eine Installation. Die Begriffe verweigern sich zutreffend zu sein. Die Architektur hingegen beharrt auf ihren vorgegebenen Konditionen. Aber ist es Architektur, der Dialektik zu widersprechen? Und ist es ein Bild: einenWiderspruch zu spiegeln. Wir kommen mit unserem Verstand nicht weiter. Und das ist gut so.


Denn bei allem ist so oft die Rede davon und so wenig das Bild für die Augen. Und noch seltener: der Raum für solche Erfahrungen. Axel Philipp hat ein Ereignis von spröder Intimität manifestiert, das nicht nur das Wesen der Kunst, sindern auch unsere Augen darin berührt. So zärtlich wie ein Messerschnitt von Bunuel durch unsere Kinderträume.